Thema: Der Philosoph
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16.12.2004, 18:02 #1
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Der Philosoph
Schau, wie die Frühlingswiese strahlt,
so duftig elegant!
Ein Bild, wie von Monet gemalt
mit leichter, freier Hand.
Dort wandelt unser Philosoph
versenkt in seine Lehre.
Die Leichtigkeit erscheint ihm doof.
Er lechzt ja nur nach Schwere.
Sein Ohr ertaubt, sein Auge schief,
sein Blick erstarrt ins Leere.
Er siehet nur im Konjunktiv,
was könnte, sollte, wäre.
Die Sonne strahlt so frank und frei,
sie will sich uns verschenken.
Ihm scheint das alles einerlei.
Er denkt doch nur ans Denken.
Die Liebste schreibt ihm einen Brief
hat Küsse auch gesandt.
Den kategor’schen Imp’rativ
den liest er nur bei Kant.
So denkt er nach und hat gedacht
weshalb, warum und wie.
Ist er denn niemals aufgewacht?
Ich glaube, leider nie.
Er wandelt noch in tiefer Nacht
als schlummerndes Genie.
Im Hintergrund erklingt ganz sacht
ein Walzer von Satie.
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17.12.2004, 11:27 #2
gefaltet
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Das sind tatsächlich mal große Worte. Nur selten habe ich solch ein leichtfüßiges Gedicht gesehen. Ein Wort züngelt mit dem nächsten und reicht die Botschaft weiter. Es hat mir wirklich Spaß gemacht, dein Gedicht zu lesen. Du schaffst es, den Leser zu fesseln. Das ist eine Gabe, die nicht viele Dichter perfekt beherrschen. Aber dazu gehört wohl Arbeit, Fleiß und Disziplin und noch mehr deutsche Tugenden. Wer möchte denn das schon aufbringen? Die Tugenden sind doch heutzutage fast verkannt. Sehr schön finde ich es auch, dass du nicht zu sehr in Wortverspieltheit verfällst, sondern auch auf den Inhalt achtest und Nebeninfos mit einbaust (Monet, kategorischer Imperativ). Das verleiht deinem Gedicht zusätzlich Reiz und macht es äußerst lesenswert. Da verspüre ich nach langer Zeit mal wieder dieses Kribbeln auf meiner Haut, das man auch "Gänsehaut" nennt. Ein ästhetischer Hochgenuss in Perfektion.
Gruß
Horajo
PS: müsste es statt versenkt nicht versinkt (von versinken) heißen? Es könnte aber auch Perfekt von versenken sein. Nun, das wird es wohl eher treffen, da die Bedeutung auch klar wird.
[Geändert durch Hojaro am 17-12-2004 um 11:33]Deine Welt ist meine Welt.
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17.12.2004, 17:14 #3
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Es freut mich sehr, Hojaro, dass Dich mein Philosoph auch schlummernd noch inspiriert. Ich hab's in den Sommerferien geschrieben, und daher wohl die Leichtfüßigkeit. Dieses Leichte soll ein Kontrast zur Schwere des philosophischen Schlummers sein. Die Wortverspieltheit habe ich hier durch einen leichteren rhythmischen Fluß ersetzt. "Ein Wort züngelt mit dem nächsten": Diese Metapher gefaellt mir ausserordentlich!
Gruss und vielen Dank,
Rolf-Peter
PS: "Versinkt" waere auch moeglich. Ich meinte es hier noch nicht so negativ; "versenkt" sollte Partizip II von "versenken" sein, figuerlich ("absorbed in"), z.B. "ins Gebet versenkt".
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17.12.2004, 17:42 #4
gefaltet
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Wirklich gut gelungen! Gute Idee, anstatt mal wieder eine Lobeshymne auf das Nachsinnen zu schreiben und in den Freuden gedanklicher Tiefen zu versinken, stattdessen dessen Nachteile zu erfassen.
Wie Hojaro schon gesagt hat: Der leichte Fluss deiner Worte ist beeindruckend. Alles passt, alles will, wie du willst. Schön.
Du bringst den Leser (zumindest mich) ins Schmunzeln, besonders in S3. Durch den Kant'schen katergorischen Imperativ baust du noch ein Fundament unter deine leichten Worte, so dass deutlich wird, dass du schon weißt, wovon du spricht. Ich kann mir wunderbar vorstellen, wie unser versunkenes, lebensfremdes Genie durch Tag und Nacht wandelt, tief in Gedanken eingesponnen, und dabei sein gesamtes Leben 'verpassend'.
Hat mich sehr gefreut, es zu lesen....und ein junger Blitz schwamm heran.
Tonlos...
Was bleibt
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...
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19.12.2004, 19:25 #5
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Dank Dir, Mondenblut! Wenn Dich mein Philosoph zum Schmunzeln bringt, dann ist sein Leben ja doch nicht ganz so unsinnig...
Gruss,
Rolf-Peter
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20.12.2004, 01:06 #6
gefaltet
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Um es kurz zu machen: Herausragend!
Danke für diesen lyrischen Hochgenuss. Dein Gedicht ließt sich wunderbar flüssig, macht Sinn und ist zudem auch noch komisch. Gepunktet auf ganzer Linie.
MfG
dopamin
[Geändert durch dopamin86 am 20-12-2004 um 18:39]Lyrik:
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20.12.2004, 04:39 #7
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Auch Dir viele Gruesse und Dank, dopamin. Nie haette ich gedacht, dass mein schlaefriger Philosoph so viele Verehrer bekommen wuerde...
Rolf-Peter
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