Thema: Der Vampyr
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28.11.2006, 18:41 #1
gebügelt
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Der Vampyr
Durstig und mit leerem Magen
öffnet er den alten Sarg
welcher ihn seit vielen Tagen
vor dem Sonnenlicht verbarg.
Feuer zuckt aus alten Dochten
Kerzen flammen lautlos auf
Raum und Zeit sind hier entflochten
stockend scheint der Dinge Lauf.
Unbeseelt ist das Gemäuer
ohne Seele ist auch er
gar nichts ist ihm lieb und teuer
das Empfinden fällt ihm schwer.
Langsam öffnet er die Lider
still der Mond vom Himmel grinst
Spinnen lassen sich hernieder
an verrottetem Gespinst.
Krabbeln über alte Kleider
schlüpfen unter seine Haut
graben sich zum Herzen weiter
wo sein Blut sich trocken staut.
Dort verlieren sie ihr Leben
wenn auch nur für kurze Zeit
Energie wird übergeben
Blut wird wieder Flüssigkeit.
Herzschlag fährt in morsche Rippen
Atem strömt aus toter Brust
keuchend öffnet er die Lippen
wird sich seiner selbst bewusst.
Im Gehirn erwacht das Denken
Hunger steigt ihm in den Sinn
mit laut knirschenden Gelenken
schleppt er sich zum Fenster hin.
Lange blickt er auf die Wälder
Wölfe heulen in der Nacht
Nebel schleichen über Felder
Wolken tragen leichte Fracht.
Schließlich murmelt er die Worte
wandelt lautlos die Gestalt
und erhebt sich von dem Orte
mit dämonischer Gewalt.
Er verlässt die alten Mauern
schwingt sich hoch in dunkle Luft
manchmal packt ihn das Bedauern
sieht er seine alte Gruft.
Scharfe Augen suchen Nahrung
jenseits liegt die kleine Stadt
er verlässt sich auf Erfahrung
junge Frauen machen satt.
Es sind jene zarten Wesen
welche er von weitem spürt
nun muss er die Fährte lesen
die ihn zu dem Opfer führt.
So er landet auf dem Dache
seine Klauen finden Halt
nur der Mond hält einsam Wache
und die Mitternacht ist kalt.
Sicher kriecht er an den Wänden
eng ans Mauerwerk gepresst
mit verhornten Krallenhänden
hält er sich am Fenster fest.
Gierig blickt er durch die Scheiben
dort schläft was er heiß begehrt
morgen wird sie liegen bleiben
kalt und bleich und ausgezehrt.
Leise steigt er in das Zimmer
nähert sich dem schlafend Mahl
draußen fließt der Sternenschimmer
wieder bleibt ihm keine Wahl.
Roter Mund und volle Brüste
herrlich rabenschwarzes Haar
sie erweckt in ihm Gelüste
und verspürt nicht die Gefahr.
Sachte beugt er sich herunter
sein Gebiss zum Halse sinkt
- niemals wird sie wieder munter -
fährt die Zähne aus und trinkt.
Schluckt den warmen Saft der Venen
saugt das Blut wie unter Zwang
und erweckt mit seinen Zähnen
in ihr einen starken Drang.
Bald gerät sie in Ekstasen
windet sich in wildem Traum
durch sie die Begierden rasen
ohne Zügel, ohne Zaum.
Langsam stirbt ihr lautes Stöhnen
Existenz wird abgestreift
muss sich mit dem Tod versöhnen
der nach ihrem Leben greift.
Er bemerkt des Kampfes Ende
küsst befriedigt ihre Stirn
streichelt ihre kalten Hände
Glück schleicht in sein altes Hirn.
Dann entschließt er sich zu gehen
fliegt gesättigt aus dem Haus
böses Werk ist hier geschehen
wieder gibt es Leichenschmaus.
Er erreicht sein Steingefängnis
zögerlich der Morgen droht
Sonnenlicht ist sein Verhängnis
tödlich schönes Morgenrot.
Müde torkelt er zu Boden
und verwandelt sich zurück
er, der Grund von vielen Toden
ist jetzt wieder ohne Glück.
Einsam legt er sich zum Schlafe
seine Knochen sind verflucht
lange schon ist er ein Sklave
niemals ihn der Tod besucht.
Spinnen kriechen aus dem Leibe
von dem frischen Blut belebt
draußen sich die Sonnenscheibe
an den Horizont erhebt.
Plötzlich sterben alle Kerzen
und der Sarg schlägt krachend zu
totes Fleisch kennt keine Schmerzen
in der Gruft herrscht Totenruh.
Fortgewischt sind all die Sterne
gleißend hell die Sonne scheint
bitterlich wird in der Ferne
eine tote Frau beweint.Geändert von Philophobos (29.11.2006 um 15:33 Uhr)
Neues vom Unhold: Der Besuch / Die Schafe des Herrn P. / Deine Antwort / Das Hemmnis / Ersehnte Stille / Die Zahnfee / Rückblick / Acht Tränen / Das Streifenhörnchen / Der Jäger / Die Stimme / Das Salzschwein / Was übrig bleibt / Unvermögen / Klarstellung
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28.11.2006, 18:55 #2
gebügelt
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Hallo Philophobos,
als Schauergeschichten-Liebhaberin hat mich dein Werk magisch angezogen. Ich muss zugeben, dass die Länge ziemlich abschreckend ist, vllt. kannst du die eine oder andere Strophe entfernen, aber es gefällt mir trotzdem. Du hast das typische Vampri-Cliche aufrechterhalten und in deinem Werk zu einer Geschichte verflochten. Bei der Metrik bin ich nicht so bewandert, aber ich glaube sie ist rein.
Was mir neu war, ist der Spinnenaspekt, die Tiere, die in das Monstrum eindringen und dort sterben, später durch das frische Blut jedoch auferstehen. Auch vertrete ich die Meinung, dass Vampire absolut blutleere Gestalten sind, und sich da auch nichts anstaut, aber darüber ließe sich wahrscheinlich streiten!
Alles in allem wirklich gelungen, du hast das Bild eines hm Geschichtenerzählers im Mittelalter in mir erweckt, der von dieser Kreatur den ahnungslosen leuten berichtet ^^
glg liniSchnee glitzert nur, wenn man langsam genug geht...
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28.11.2006, 19:36 #3
getrocknet
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Herrlich! Einfach wunderbar.
Wie schön das Leid des Täters dargestellt wurde, einfach zum Heulen.
MfG, deidre
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28.11.2006, 19:48 #4
Lyrik-Banause
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wow wie geil... allerdings hat es dann doch schon einen sehr lustigen touch *denk*. also ich musste dann doch oftmals sehr breit grinsen. denke das liegt an dem paarreim den du gewählt hast und deiner ab und an leicht abweichenden ausdrucksweise wie "junge Frauen machen satt" oder "fährt die Zähne aus und trinkt."... sorry... das ist so humoristisch angehaucht... denke es passt wunderbar hierher ( wegen der hauptrolle ) würde sich aber auch hervorragend in humor machen... naja, dafür ist dann der schluss vieleicht noch mal etwas ins lächerliche zu ziehen ( da schon sehr ernst ).
wirklich äusserst gern gelesen
lieben grusswissen zerstört... denken befreit
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T.C.
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28.11.2006, 19:51 #5
gewaschen
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Klasse! Einfach Klasse! Nix dran ändern!!
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28.11.2006, 19:58 #6
getrocknet
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Unglaublich! wirklich ein aus meiner Sicht absolut perfektes und geniales Werk. ich mag sonst solche ewig langen Sachen nciht, aber das hier hat mich wirklich vom Hocker gerissen!
weiter so!Que serà, serà
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29.11.2006, 14:48 #7
gebügelt
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Hallo und vielen Dank für eure Kritiken.
@LINI^^: Mein Problem mit der Länge von Gedichten wurde ja schon ausgiebig diskutiert. Ich erzähle gern Geschichten in Reimform und manchmal sind diese halt ein wenig länger...
Die Sache mit den Spinnen und dem zu Staub gewordenem Blut fand ich irgendwie witzig.
@heimlicheFeder: Manchmal konnte ich halt nicht anders und die ein oder andere humoristische Zeile mußte einfach rein. Außerdem gefällt mir das Wechselspiel zwischen lustig und ernst.
Gruß,
PhilophobosNeues vom Unhold: Der Besuch / Die Schafe des Herrn P. / Deine Antwort / Das Hemmnis / Ersehnte Stille / Die Zahnfee / Rückblick / Acht Tränen / Das Streifenhörnchen / Der Jäger / Die Stimme / Das Salzschwein / Was übrig bleibt / Unvermögen / Klarstellung
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29.11.2006, 19:07 #8
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Huhu^^
Ich muss gleich sagen: Ich bin eigentlich kein richtiger Fan von langen Gedichten. Kann nichts dafür, ist einfach so
Aber ich muss hinzufügen: Deins gefällt mir wirklich gut. Du hast es geschafft, dass es nach den ersten 5 Absätzen noch immer spannend ist, und dafür muss ich dich loben^^
Sehr schön geschrieben, gefällt mir.
LG,
RoSe
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29.11.2006, 20:02 #9
gefaltet
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Hallo!
Na, aber hallo!! ^^
Richtig gut, ich als Fan der Fiktion bin vollauf begeistert! Dein armer Protagonist! Ich leide mit...
Sprachlich wunderbar velfältig, keine Fehler in Metrik und Reimschema zu entdecken, wie sehr ich mich auch bemühe.
Dickes Lob!
liebe Grüße,
TrillianGeändert von Trillian (30.11.2006 um 14:26 Uhr)
'Terror gripped her.
But because she was Tiffany, she ran towards it, raising the pan.'
-----T. Pratchett, 'The Wee Free Men'
'Fighters fight...'
-----'Rocky Balboa'
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30.11.2006, 10:40 #10
gebügelt
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Schönen guten Morgen!
@schwarze_Rose03: Endet die Spannung eines Gedichtes für Dich normalerweise nach 5 Strophen? Dieses Gedicht hat ja ein wenig mehr. Noch länger ist übrigens "Der Tag des Jüngsten Gerichts" mit 51 Strophen - schau Dir dieses doch mal an. Auch wenn Du lange Gedichte eigentlich nicht magst
.
@Trillian: Jaja, der arme Blutsauger hat es schon nicht leicht. Immer hungrig herumfliegen und im Sarg schlafen...
Gruß,
PhilophobosNeues vom Unhold: Der Besuch / Die Schafe des Herrn P. / Deine Antwort / Das Hemmnis / Ersehnte Stille / Die Zahnfee / Rückblick / Acht Tränen / Das Streifenhörnchen / Der Jäger / Die Stimme / Das Salzschwein / Was übrig bleibt / Unvermögen / Klarstellung
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30.11.2006, 10:58 #11
schnurrende Feder
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Hey Philo,
nun komme ich auch noch daher, auf dass die Liste der Bewunderer deiner Geschichte in Reimformimmer länger wird.
Sie hat mir sehr gefallen und ich bin auch dafür, dass nichts gestrichen wird.
Gut gemacht - man wechselt von Schauder (Spinnen unter die Haut) bis Grinsen ( von frischem Blut belebte Spinnen)
Mit Gruss,
KatziNickänderung: supikatzi wurde zu Chavali
~WÖRTERWUNDERTÜTE~
Werkeverzeichnis (unvollständig - ruft nach Aktualisierung): Katzenspuren
© auf alle meine Texte!
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30.11.2006, 12:53 #12
Justizirrtum
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Hi Philo...
Muss mich glatt meinen Vorrednern anschließen und bin froh, dass ich auf meinem
kleineren Bildschirm in der Arbeit nicht gleich gesehen habe, wie lang dein Werk
eigentlich ist... Denn dann hätte es sein können, dass ich schon nicht begonnen
hätte zu lesen...
Na dein Gedicht von dem armen Vampir gefällt mir mächtig gut, und ist so spannend
erzählt, dass ich einmal mit dem Lesen begonnen, nicht mal mehr in Versuchung kam
nachzusehen, wie lang es noch ist. Die richtige Mischung aus leichter Traurigkeit
und Humor kommt gut rüber.
Echt gern gelesen
liebe Grüße
Shadow...neu: Düsteres TalMan sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche bleibt den Augen verborgen.
( Der kleine Prinz, Saint Exupéry )
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30.11.2006, 23:24 #13
gebügelt
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Hallo Philophobos
Ein sehr schönes, düsteres, langes Gedicht mit einem gelungenen Abschluss.
Die Spinnen, die den Vampyr für kurze Zeit "zum Leben erwecken" finde ich ein schönes, neues und unverbrauchtes Bild und eine gute Idee!
viele Grüße und Danke für diesen schaurig-schönen Lesegenuß
thamisDo you need to see to believe? Believe and you will see!
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01.12.2006, 10:10 #14
gebügelt
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Schönen guten Morgen,
@supikatzi & thamis: Die kleinen Spinnentiere müssen sich schließlich auch irgendwie durchs Leben schlagen. Wenigstens machen sie auf diese Weise keinen anderen kleinen Lebewesen den Garaus.
@Shadowlady: Dann kauf Dir mal ruhig einen kleineren Bildschirm für zu Hause - vielleicht hast Du schon so manches gute Gedicht zu Unrecht abgestempelt.
Gruß,
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16.12.2006, 00:26 #15
Justizirrtum
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Nein...
Ich glaube, dass ist das Erste welches es auch wirklich wert war ganz gelesen zu werden....*schleim*...
Nö bin froh, dass ich zu Hause einen größeren Bildschirm habe, und habe mich einmal durch
deine anderen Werke gelesen zu dieser ruhigen Stunde. Verzeih mir, wenn ich sie nun
nicht alle einzeln kommentiere, aber deine vielfältigen Werke finde ich schon beeindruckend.
lg... Shadow...neu: Düsteres TalMan sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche bleibt den Augen verborgen.
( Der kleine Prinz, Saint Exupéry )
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